…Anne Rehme-Schlüter und Anne Krumm, engagiert in der Regionalgruppe Gemeinwohlökonomie

Frau Rehme-Schlüter, zuallererst: Was bedeutet „Gemeinwohl-Ökonomie“?

Die Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) ist ein Wirtschaftsmodell, in dem das „gute Leben für alle“ das oberste Ziel ist. Entsprechende Reformen sollen in demokratischen Prozessen entwickelt und in Verfassungen verankert werden. In einer GWÖ sind Unternehmen, die nachhaltig und sozial wirtschaften, im Vorteil – heute schon durch mehr Glaubwürdigkeit, in Zukunft auch durch rechtliche Anreize (z. B. niedrigere Steuern, günstigere Kredite, Vorrang bei öffentlichen Aufträgen oder Förderungen). So wie schon §14 Absatz2 unseres Grundgesetzes festlegt: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“

Frau Krumm, Gemeinwohl-Ökonomie als Alternative zur kapitalistischen Marktwirtschaft: Ist das nicht ein weltfremder Wunsch?

Nach Auffassung des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses (EWSA) sollte das GWÖ-Modell sowohl in den europäischen als auch in die einzelstaatlichen Rechtsrahmen integriert werden. Ziel ist es, die Verwirklichung des Binnenmarktes über eine verstärkt ethische Wirtschaft voran zu bringen, die auf europäischen Werten und der Wahrnehmung gesellschaftlicher Verantwortung gründet und diese synergistisch untermauert. EWSA hat die Stellungnahme „Gemeinwohl-Ökonomie – ein nachhaltiges Wirtschaftsmodell für den sozialen Zusammenhalt“ am 15.09.’15 mit 86% Ja-Stimmen angenommen. Wie wirkt sich das aus? Langlebige, nachhaltige Produkte setzen sich durch. Mehr Wertschöpfung bleibt in der Region. Gute und sinnvolle Arbeitsplätze entstehen. Der Umgang in den Betrieben wird menschlicher. Die Ungleichheit geht zurück. Umwelt und Klima werden global geschützt.

Wie sollen die Kriterien für die „Gemeinwohl-Bilanz“ eines Unternehmens, einer Gemeinde oder einer anderen Einrichtung festgelegt werden?
Anne Rehme-Schlüter:
Die Kriterien gibt es bereits, Grundlage ist unter anderem die „Internationale Charta der Menschenrechte“. Weitere Werte sind, neben der Menschenwürde, die Kriterien Solidarität und Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit, Transparenz und Mitentscheidung. Diese werden in Bezug zu den Berührungsgruppen Lieferant*innen, Geldgeber*innen, Mitarbeiter*innen, Kund*innen sowie gesellschaftliches Umfeld gesetzt. Daraus ergibt sich eine Punktzahl, die aufzeigt, wie menschenwürdig, solidarisch, nachhaltig, gerecht und demokratisch die Unternehmen sich im Umgang mit ihren Berührungsgruppen verhalten. Alle 17 nachhaltigen Entwicklungsziele (SDG’s) werden durch die Matrix angesprochen.

Und wer überprüft das?
Qualifizierte und zertifizierte Auditor*innen prüfen, ob und wie die GWÖ in der unternehmerischen Praxis tatsächlich umgesetzt wird.

Kritiker befürchten, dass überbordende Bürokratie und die Notwendigkeit aufwändiger Kontrollsysteme die Folge wären. Was entgegnen Sie?
Anne Krumm:
Die Notwendigkeit von weitergehenden Kontrollsystemen besteht schon jetzt. Der Blick auf den gesamten Wertschöpfungsprozess und die Einbeziehung von Umwelt- und Sozialkosten, spiegelt den realen Wert eines Produktes wider. Setzt man hier mehr Ressourcen ein, um diese Prozesse zu überwachen, so braucht es hinterher keine aufwendigen Millionenprogramme um Umweltzerstörungen oder Menschenrechtsverletzung- en wieder zu „reparieren“.

Gibt es in dieser Region schon Unternehmen, Gemeinden oder andere Einrichtungen, die sich der Gemeinwohl-Ökonomie verschrieben haben?
Anne Rehme-Schlüter:
In Deutschland gibt es vier Kommunen, die bereits eine Bilanz für sich erstellt haben, darunter die Stadt Steinheim im Kreis Höxter, die ihre Bilanz jüngst veröffentlicht hat. Viele Unternehmen sind ebenfalls bereits bilanziert. In Stadt und Landkreis Osnabrück ist das Thema neu, weswegen hier noch keine Kommunen und Unternehmen eine Bilanz erstellt haben. Es sind hier jedoch bereits eine Vielzahl von Produkten von Firmen mit einer GWÖ-Bilanz erhältlich, zum Beispiel Lebensmittel, Bekleidung und Möbel.

Welche konkreten Ziele verfolgt ihre Gruppe in Osnabrück?
Anne Krumm:
Zunächst wollen wir die GWÖ hier vor Ort bekannter machen, so dass sich eine Regionalgruppe etablieren kann und die GWÖ von möglichst vielen Privatpersonen, Vereinen, Verbänden, Firmen und Kommunen umgesetzt wird. Perspektivisch sollen auch Kooperationen mit Wirtschafts- und Politikakteuren, sowie Kapazitäten für die Prozessberatung und Begleitung zur Umsetzung der GWÖ aufgebaut werden.

Wo können sich Interessierte informieren?

Am Mittwoch, dem 27. Januar 2021 um 19.00 Uhr, treffen wir uns als Regionalgruppe wieder über Zoom. Wer Interesse hat sende gerne eine Mail an Anne Rehme-Schlüter | rehmeschlueter@gmx.de. Wir senden dann einen entsprechenden Link, über den man sich einwählen kann. Wir freuen uns sehr über weitere Teilnehmer*innen!

Weiterführende Informationen zur GWÖ: www.web.ecogood.org

Vielen Dank für das Gespräch!