…Julian Cordes, Projektkoordinator beim VEN e.V., zur Initiative Lieferkettengesetz
Herr Cordes, im September 2019 schlossen sich über 80 zivilgesellschaftliche Organisationen zur „Initiative Lieferkettengesetz“ zusammen. Was war der Anlass?
Die deutsche Wirtschaftspolitik setzt seit Jahrzehnten auf das Prinzip der Freiwilligkeit, wenn es um die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards in globalen Lieferketten geht. Unternehmen aus Deutschland sind nach wie vor – nachweislich – direkt und indirekt in Menschenrechtsverletzungen verstrickt. Die Initiative fordert deshalb, dass die Politik gesetzgeberisch tätig wird.
Was genau fordert das Bündnis?
Die Initiative fordert von der Bundesregierung ein sogenanntes Lieferkettengesetz umzusetzen. Ein solches Gesetz soll Unternehmen verpflichten, menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfalt walten zu lassen und dadurch Menschenrechte und Umweltstandards in ihren globalen Lieferketten einzuhalten. Mit der Forderung nach diesen menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten bezieht sich die Initiative auf einen international anerkannten Standard, wie er in den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte ausgearbeitet wurde.
Arbeitgeberpräsident Kramer behauptet, die deutsche Wirtschaft bekenne sich auch ohne ein solches Gesetz zu ihrer menschenrechtlichen Verantwortung und arbeite schon freiwillig an der Verbesserung und Einforderung menschenrechtlicher Standards. Wieso braucht es ein Gesetz?
Viele Beispiele, wie der Brand einer Textilfabrik in Pakistan, in der Kik hat produzieren lassen oder der Dammbruch bei einer Eisenerz-Mine in Brasilien, der vom TÜV-Süd kurz zuvor als sicher zertifiziert wurde, zeigen, dass Unternehmen zu wenig machen und freiwillige Maßnahmen nicht ausreichen. Deutsche Unternehmen profitieren in hohem Maße von der globalisierten Wirtschaft, müssen gleichzeitig aber keine Verantwortung für Schäden an Mensch und Umwelt in ihren Lieferketten übernehmen. Diese Gesetzeslücke sollte geschlossen werden.
Zudem haben verantwortungsbewusste Unternehmen momentan einen Wettbewerbsnachteil gegenüber Unternehmen, die so billig wie möglich produzieren lassen und die Menschenrechtssituation in ihren Lieferketten außer Acht lassen.
Arbeitgeberverbände kritisieren, der Gesetzesentwurf sei aber schlichtweg nicht praktikabel. Deutsche Unternehmen könnten nicht für das Verhalten von Zuliefererfirmen in Haftung genommen werden, auf die sie keinen Zugriff hätten. Es könne teilweise nicht nachvollzogen werden, unter welchen Bedingungen einzelne Produktbestandteile hergestellt wurden. Ist da nicht was dran?
Unternehmen können die Sicherheit und die Qualität von Produkten garantieren. Grundlage dafür sind Informationen oder Vereinbarungen, die sie mit Zulieferern treffen. An solchen Unternehmensprozessen kann man anknüpfen und menschenrechtliche Sorgfaltsverfahren integrieren. Außerdem sollten die Maßnahmen, die ein Unternehmen trifft, der Größe des Unternehmens angemessen sein. Ein Lieferkettengesetz schafft zudem Rechtssicherheit für Unternehmen. Das ist u. a. ein Grund, weshalb immer mehr Unternehmen ein solches Gesetz fordern. Dazu gehören bspw. Daimler, BMW, Nestlé, Tchibo oder Vaude.
Im Februar hat die Initiative ein Rechtsgutachten vorgestellt, das zeigt: Ein Lieferkettengesetz ist für Politik und Unternehmen umsetzbar.
Wie ist da der neuste Stand?
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil und Bundesentwicklungsminister Gerd Müller sprechen sich beide für einen gesetzlichen Rahmen aus. Sie hatten angekündigt, ein Eckpunktepapier für ein Gesetz vorzulegen. Anfang März wurde öffentlich, dass das Bundeskanzleramt und das Wirtschaftsministerium dieses Vorhaben gestoppt haben.
Die Vertreter*innen, die sich gegen ein Gesetz aussprechen, verweisen auf das sogenannten NAP-Monitoring – eine Überprüfung der Wirtschaft, inwiefern diese ihren menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten bereits nachkommt. Eine erste Befragung in 2019 hat gezeigt, dass Unternehmen diesen Sorgfaltspflichten gar nicht, bzw. nicht ausreichend, nachkommen.
Wir fordern deshalb – unabhängig des NAP-Monitorings – ein Lieferkettengesetz in Deutschland.
Vielen Dank für das Gespräch!