…Robert Diendorfer, Referent für Unternehmensverantwortung beim Forum Fairer Handel und Mitglied des Steuerungskreises Initiative Lieferkettengesetz

Herr Diendorfer, in dieser Woche hat das Europaparlament in Straßburg über den von EU-Kommission, Rat und Parlament ausgehandelten Kompromisstext abgestimmt und das Omnibus Paket I angenommen. Damit ist eine Abschwächung der EU-Lieferkettenrichtlinie beschlossen. Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger begrüßte den Kompromisstext letzte Woche erleichtert als einen „Meilenstein für den Bürokratierückbau“. Sie dagegen kritisieren die Eignung als einen „verheerenden Kompromiss“. Bitte erläutern Sie Ihre Kritik.

Rein inhaltlich betrachtet ist es ein schwerer Schlag für jene, die durch das Gesetz geschützt werden sollen: Menschen in globalen Lieferketten, die von Ausbeutung und miserablen Arbeitsbedingungen betroffen sind. Zudem ist es ein Rückschritt im Umwelt- und Klimaschutz. Wir beobachten eine neue Deregulierungswelle, die über Europa schwappt. Unter dem Deckmantel des „Bürokratieabbaus“ und der „Wettbewerbsfähigkeit“ werden insbesondere Nachhaltigkeitsregulierungen massiv angegriffen und ausgehöhlt. Das betrifft bei der EU-Lieferkettenrichtlinie beispielsweise den Anwendungsbereich, da es zukünftig nur mehr für Unternehmen ab 5.000 Mitarbeiter*innen und 1,5 Mrd. EUR Umsatz gelten soll, anstatt ursprünglich 1.000 Mitarbeiter*innen und 450 Mio. EUR Umsatz. Die sogenannten Klimatransitionspläne werden komplett gestrichen und Beschwerdemechanismen für Betroffene aufgeweicht. Die Sanktionen bei Verstößen werden ebenfalls reduziert. Zudem sind die Bedingungen, unter denen diese Einigung zustande kam, hochgradig besorgniserregend. Um zentrale Grundpfeiler der Richtlinie einzureißen, stimmte die EVP gemeinsam mit rechten und rechtsextremen Fraktionen im EU-Parlament, um den Kompromiss zu verabschieden. Das ist kein Kompromiss, dessen Inhalt oder Zustandekommen wir gutheißen können.

Wirtschaftsverbände in der EU und in Deutschland argumentieren, das Lieferkettengesetz in seiner jetzigen Form auf EU-Ebene sei mit unzumutbaren bürokratischen Belastungen für Unternehmen verbunden und berge die Gefahr, eines Wettbewerbsnachteils. Was entgegnen Sie?

Wir erleben aktuell eine paradoxe Situation: Wirtschaftsverbände fordern vehement eine Senkung bürokratischer Belastungen, aber die „Vereinfachungen“, die nun in Straßburg durch ihre politischen Vertreter*innen beschlossen werden, erreichen genau das Gegenteil. Ein Beispiel: In der ursprünglichen Version des EU-Lieferkettengesetzes aus 2024 war ein EU-weit harmonisierter zivilrechtlicher Haftungsrahmen für Unternehmen vorgesehen. Der hätte es einerseits europaweit agierenden Unternehmen einfacher gemacht, mit Beschwerden umzugehen, da sie sich an einer einheitlichen Regel orientieren können. Andererseits wäre es für Personen, die von Menschenrechtsverletzungen betroffen sind, wesentlich einfacher gewesen, Beschwerde einzulegen, da es nur einen relevanten Haftungsrahmen gibt. Mit dem Omnibus-I-Paket wird diese Harmonisierung aufgehoben und jeder Mitgliedsstaat muss nun selbst über die Ausgestaltung der zivilrechtlichen Haftung entscheiden. Aus einer Regel werden 27 unterschiedliche Regeln. Ich frage mich, ob das der Bürokratieabbau sein soll, den die Wirtschaftsverbände proklamieren. Mit dem sogenannten „risikobasierten Ansatz“ (der bereits in der ursprünglichen Version der CSDDD enthalten war), hält zudem ein Ansatz Einzug, der es Unternehmen ermöglicht, sich mit den relevantesten und dringendsten Risiken in ihren Lieferketten auseinanderzusetzen. Das verhindert unnötige Anfragen an direkte Lieferanten, beispielsweise aus Europa, bei denen ohnehin ein geringes Risiko für Menschenrechtsverletzungen vorliegt.

Die Initiative Lieferkettengesetz spricht von „skandalösen und zutiefst besorgniserregenden Umständen“, unter denen die massiven Abschwächungen an der EU-Lieferkettenrichtlinie zustande gekommen sei. Sie wirft fossilen US-Konzernen eine koordinierte Einflussnahme vor und als Ergebnis einer sich neuformierenden rechten Allianz in Europa. Teilen Sie diese Kritik? Können Sie das für uns ausführen?

Ja, ich teile diese Einschätzung. Enthüllungen von SOMO, einem niederländischen Forschungsinstitut, belegen auf besorgniserregende Weise den Einfluss von mehrheitlich US-Konzernen der fossilen Industrie auf die Verhandlungen zum EU-Lieferkettengesetz. Im Rahmen eines „Competitiveness Roundtable“, unter der Leitung des Beratungsunternehmens Teneo, kam es über Monate zu Strategietreffen, um gezielt auf die Verhandlungen zur CSDDD einzuwirken. Dabei fokussierten sie sich insbesondere auf zentrale Kernelemente der Regulierung, wie etwa die Verwässerung der zivilrechtlichen Haftung von Unternehmen oder die Streichung der Klimatransitionspläne. Die Ziele sollten durch einen Bruch der demokratischen Mitte und eine Zusammenarbeit mit rechten und rechtsextremen Fraktionen erreicht werden. Und genau dazu kam es. Sowohl die Abschwächungen als auch die Abstimmung mit Rechtsfraktionen wurden realisiert. SOMO führt anhand geleakter Dokumente detailliert aus, wie die Lobbybemühungen nach und nach zu den gewünschten Ergebnissen führten. Es ist zutiefst beunruhigend und skandalös, wie hier vorgegangen wurde.

Was bedeuten die Entwicklungen auf EU-Ebene für das deutsche Lieferkettengesetz?

Das EU-Lieferkettengesetz muss innerhalb von zwei Jahren in nationales Recht umgesetzt werden. Das deutsche Lieferkettengesetz wird laut Koalitionsvertrag demnach in ein „Gesetz über die internationale Unternehmensverantwortung“ überführt. Momentan ist das deutsche Lieferkettengesetz in einigen Elementen strenger als das EU-Lieferkettengesetz. Das betrifft insbesondere den Anwendungsbereich. Wir befürchten allerdings, dass sich die Bundesregierung nicht an das Regressionsverbot hält, wonach es zu keinen Verschlechterungen kommen darf, und stattdessen die Gelegenheit nutzt, um auch das deutsche Lieferkettengesetz weiter zu verwässern. Das geschah bereits in den letzten Monaten durch die Aufhebung von Berichtspflichten und die Aussetzung von Sanktionen.

Was sind ihre Forderungen?

Wir fordern eine ambitionierte Umsetzung des EU-Lieferkettengesetzes in nationales Recht, die bisherige Schutzstandards nicht schwächt oder verschlechtert. Die Anforderungen des deutschen LkSG müssen bestehen bleiben, sollten sie über jenen des EU-Lieferkettengesetzes liegen.

Vielen Dank für das Gespräch!

» www.forum-fairer-handel.de
» www.lieferkettengesetz.de/presse/

Bild: Forum Fairer Handel